Ihr habt richtig gelesen. Kinder sind Vorbilder. Das meine ich absolut ernst. Nur habe ich das auch nicht auf Anhieb so verstanden. Das hat einige Zeit und Nerven gebraucht.
Mein Sohn ist jetzt fünfeinhalb, meine Tochter fast drei Jahre alt. Es brauchte also seine Zeit, bis ich verstanden habe, dass wir von unseren Kindern unglaublich viel Lernen können. Wenn wir wollen.
Ich habe mich immer mehr vom Ansatz entfernt, dass wir als Erwachsene den Kids alles beibringen müssen. Heute bin ich felsenfest überzeugt, dass Kinder grosse und starke Vorbilder sind. Für mich gehören meine zwei Kids zu meinen wichtigsten Mentoren in meinem Leben. Definitiv.
Was war der Auslöser?
Wir haben soeben ein Weekend als Familie verbracht, in dem mir bewusst wurde, warum Kinder Vorbilder sind. Wir waren im wunderschönen Engadin – meiner Heimat – zu einer Trauung eingeladen. Perfekt zum Wintereinbruch. Wie nach Drehbuch.
Am Sonntagabend mussten meine Frau Fabienne und ich feststellen, wie schnell doch das Weekend wieder vorüber ging. Die Zeit flog regelrecht vorbei. Was haben wir eigentlich erlebt? War es schön?
Es wurde uns bewusst, dass wir das Wochenende gar nicht richtig wahrgenommen haben. Wir hatten Programm, wir hatten Termine, wir mussten planen. Für unserer Kids war klar, was denn am Weekend toll war: «Schnee! Das war toll! Können wir morgen wieder in den Schnee?»
Geniessen statt planen
Erfreulicherweise hatte es im Engadin frisch geschneit. Da gab es für die Kids kein Halten mehr. Sie wollten nur noch in den Schnee. Dank meiner lieben Frau, die jeweils vorausdenkt und für alle Eventualitäten gepackt hat, konnten sie sich eine Stunde lang im Schnee vergnügen.
Das war für sie DER Moment. Alles andere, die Trauung, die Leute, das Essen, waren Nebensache.
Da wurde mir bewusst, was der wesentliche Unterschied zwischen uns Erwachsenen und den Kindern ist. Während Fabienne und ich damit beschäftigt waren, was als Nächstes kommt, wohin wir fahren müssen, was wir mitnehmen müssen oder was wir anziehen, gab es für unsere zwei Kleinen nur den jeweiligen Moment. Schnee? Geil! Rein!
Thema erledigt. Was vorher war? Was nachher sein wird? Egal. Jetzt ist wichtig!
Kinder folgen einem Vorbild, nicht einem Ratschlag.
Das ist meine persönliche Überzeugung. Deshalb ist es wichtig, was wir als Eltern oder Väter unseren Kindern vorleben. Sie kopieren dann ganz von alleine.
Wichtig ist, was wir selber tun, nicht was wir sagen. Umso schwieriger, wenn Worte und Taten gegensätzlich sind.
Aber eben: wenn wir uns als Eltern schwer tun, Vorbilder zu sein, übernehmen die Kids jederzeit diese Rolle. Wenn wir es zulassen. Und dies dann auch wahrnehmen.
Es zählt, was ist
Aus meiner Sicht verstehen Kinder viel besser, was es heisst, zu leben. Für sie bedeutet Leben, im Hier und Jetzt zu sein. Es zählt nicht, was war. Es zählt nicht, was sein wird. Es zählt, was ist. Jetzt.
Genau das haben wir Erwachsene grösstenteils verlernt.
John Lennon hat es seinerzeit auf den Punkt gebracht: Das Leben ist das, was dir passiert, während du beschäftigt bist, Pläne zu machen. Auf mein bisheriges Leben trifft das vollkommen zu.
Als Erwachsene führen wir ein «um zu»-Leben. Ein Leben, in dem wir die meisten Dinge tun, um etwas anderes zu haben oder zu erreichen.
Beispiele gefällig?
Wir studieren, um später einen guten Job zu haben. Wir strengen uns bei der Arbeit an, um mehr Lohn zu bekommen oder befördert zu werden. Wir arbeiten, um uns schöne Ferien leisten zu können. Wir machen Ferien, um uns von der Arbeit zu erholen. Wir machen Sport, um Stress abzubauen. Wir schauen fern, um uns abzulenken. Wir konsumieren, um unseren Frust zu kompensieren. Wir geben, um zu bekommen.
Es geht dabei immer darum, etwas zu machen, um etwas anderes davon zu haben. Selten tun wir etwas, um des Tuns willen. Oder weil wir einfach Bock darauf haben.
Stellt sich also die Frage: Warum ist das so? Wir waren schliesslich ja auch mal Kinder. Wir haben auch mal im Hier und Jetzt gelebt. Warum und wie haben wir das verlernt?
Für mich ist die Antwort ganz klar: Muster, Prägungen, Glaubenssätze. Was uns vorgelebt wurde, wie wir von unseren Eltern erzogen wurden, wie uns die Schule gebildet hat. Das hat sich in uns abgespeichert und geprägt. Und prägt uns bis heute.
Das Wenn-Dann-Prinzip
Wenn ich mir nun selber den Spiegel vorhalte und sehe, wie ich mit meine Kids erziehe, dann ist da sehr viel «wenn dann»-Prinzip.
Auch hier gerne ein paar Beispiele:
Wenn du brav bist, dann bekommst du etwas. Wenn du aufisst, dann gibt’s den Lolli. Wenn du Danke sagst, dann bist du ein gutes Kind. Wenn du die Aufgaben machst, dann kannst du danach gamen. Wenn du lernst, dann gibt es gute Noten. Und wenn du guten Noten hast, dann sind wir stolz auf dich. Wenn du folgst, dann haben wir dich lieb. Wenn, dann…
Meine Erziehung beinhaltet also oftmals die Verknüpfung an Bedingungen. Ganz unbewusst. Schliesslich wurde ich ebenfalls so erzogen – und geprägt. Das meine ich gar nicht böse.
Fabienne und ich, meine Eltern, andere Eltern, heute wie früher, haben stets nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Immer mit den besten Absichten für die Kinder.
Als Vater möchte ich nur das Beste für meine zwei Kinder. Dabei greife ich ganz unbewusst auf meine Erfahrungen zurück.
Und diese Erfahrungen sind – zumindest beim ersten Kind – noch nicht vorhanden, weshalb automatisch die Muster und Prägungen zum Zug kommen, die in mir verankert sind.
So wie eben das Erfüllen von Bedingungen. Etwas tun, um etwas anderes zu haben. Etwas verlangen, um dann etwas zu geben. Genau so habe ich es gelernt. Und so lernen jetzt auch meine Kinder von mir. Sie müssen etwas leisten, um Anerkennung, Wertschätzung und Liebe zu erhalten.
Will heissen: Ich liebe sie dafür, wie sie meine Regeln befolgen und meine Vorgaben umsetzen. Ich liebe sie für das, was sie machen. Ich liebe sie für ihr Verhalten.
Prägung ist das halbe Leben
Was da fehlt? Ich liebe sie nicht für Ihre Persönlichkeit. Also für das, was sie sind. Nämlich wunderbare, umwerfende, bezaubernde Wesen. Kleine Menschen, die toll sind, so wie sie sind.
Stattdessen präge ich sie, indem sie sich vorher überlegen, was sie haben wollen. Dann wenden sie die beste Strategie an, um das zu erhalten.
Das Resultat? Die Kinder tun etwas nicht mehr aus Lust an der Freude, sondern um etwas zu erreichen. Sie werden berechnend. Sie lernen zurückzuschauen, um bereits gemachte Erfahrungen abzurufen. Sie lernen nach vorne zu blicken, um das gewünschte Endergebnis zu kennen.
Dabei verlernen sie, einfach im Hier und Jetzt zu sein. Diese Prägung oder Programmierung passiert vor allem in den ersten sieben Lebensjahren, wenn wir uns vom Neugeborenen zum kleinen Menschen entwickeln.
Die Schule gibt uns dann noch den Rest. Wir lernen für ein generell gültiges Wertesystem, das uns als individuelle Wesen qualifiziert – oder vielfach eher disqualifizert.
Wenn ich auf mein Leben schaue, dann ist mir genau das passiert. Beim Erwachsenwerden habe ich verlernt, zu sein – oder eben, zu leben.
Indem ich jetzt meine Kids beobachte und sie als Vorbilder anerkenne, verstehe ich immer mehr die Bedeutung des Lebens. Sie machen es mir nämlich ganz natürlich vor. Ich werde mir immer mehr bewusst, wie ich mit ihnen umgehe.
Dabei lerne ich wieder Schritt für Schritt zu leben. Dieses Grundprinzip des Lebens wird am besten bei der Beantwortung folgender Frage deutlich: Warum tust du etwas?
Warum? Darum!
Folgendes Beispiel: Ferien am Meer, Sonne, Strand. Die Kinder bauen eine Sandburg. Ein Stunde lang. Dann ist sie fertig. Als Papa kann ich gerade noch schnell das Foto zur Erinnerung machen, bevor die Burg bereits wieder verwüstet wird.
Dann die Frage ans Kind: «Warum tust du das?»
Ein Kind schaut dich in diesem Moment an und denkt sich: Was soll diese Frage???
Die einfache und gleichzeitig beste Antwort: «DARUM!»
Für uns Eltern übersetzt heisst das:
«Weil ich Bock habe, das zu tun. Was soll ich denn machen? Die Burg jetzt eine Stunde lang anschauen? Oder sie verwalten?»
Ein Kind macht etwas, weil es ihm Freude macht. Punkt. Als Erwachsene machen wir etwas, damit wir etwas anderes davon haben. Das ist der Unterschied zwischen Sein und Planen – zwischen Leben und Leben-wollen.
Freude als Lebenselixier
Freude ist das Motivationsprinzip von Kindern. Pure Freude. Und Freude löst den grössten Lerneffekt aus. Das ist mittlerweile wissenschaftlich erwiesen.
Etwas aus Freude zu tun ist nicht nur schön, sondern hilft uns weiter und wirkt nachhaltig.
Also, liebe Daddies (mich inklusive), lasst uns mehr Freude haben. Doch, das ist relativ simpel. Nicht einfach, aber simpel.
Wie das gehen soll? Das Zauberwort heisst Achtsamkeit. Es geht darum, bewusst darauf zu achten, aus welchem Grund man etwas tut. Darauf zu achten, was man gerne tut. Und das, was man tut, mit voller Aufmerksamkeit zu tun. Ohne Ablenkung.
Die Kraft der Achtsamkeit
Am besten veranschaulichen lässt sich die Achtsamkeit an folgender Geschichte:
Es kamen einmal ein paar Suchende zu einem alten Zen-Meister: «Herr, wir wären auch gerne so glücklich wie du. Was tust du, um glücklich und zufrieden zu sein?»
Der Alte antwortete mit mildem Lächeln: «Wenn ich liege, dann liege ich. Wenn ich aufstehe, dann stehe ich auf. Wenn ich gehe, dann gehe ich und wenn ich esse, dann esse ich.»
Die Fragenden schauten etwas betreten in die Runde. Einer platzte heraus: «Bitte, treibe keinen Spott mit uns. Was du sagst, tun wir auch. Wir schlafen, essen und gehen. Aber wir sind nicht glücklich. Was ist also dein Geheimnis?»
Es kam die gleiche Antwort: «Wenn ich liege, dann liege ich. Wenn ich aufstehe, dann stehe ich auf. Wenn ich gehe, dann gehe ist und wenn ich esse, dann esse ich.»
Die Unruhe und den Unmut der Suchenden spürend fügte der Meister nach einer Weile hinzu: «Sicher liegt auch Ihr und Ihr geht auch und Ihr esst. Aber während Ihr liegt, denkt Ihr schon ans Aufstehen. Während Ihr aufsteht, überlegt Ihr wohin Ihr geht und während Ihr geht, fragt Ihr Euch, was Ihr essen werdet.
So sind Eure Gedanken ständig woanders und nicht da, wo Ihr gerade seid. Im Schnittpunkt zwischen Vergangenheit und Zukunft findet das eigentliche Leben statt. Lasst Euch auf diesen nicht messbaren Augenblick ganz ein und Ihr habt die Chance, wirklich glücklich und zufrieden zu sein.»
Die Moral von der Geschichte: Wir sind viel zu sehr damit beschäftigt, was später sein wird. So verpassen wir den Moment, und damit auch ein wenig das Leben.
Also, mehr Fokus auf das, was gerade passiert. Mehr Bewusstsein im Hier und Jetzt. Und wenn es dir schwer fällt, schau dir immer wieder deine Kids an, und mach es ihnen nach.
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